Der Vers ist Teil einer nachdenklichen Betrachtung über das Leben und den Tod. Menschen können durch ein Leben des Glaubens nicht ausschließen, dass ihnen auch unvorhergesehene, schlimme Dinge passieren (Pred 9,2.3). Im Tod gibt es dann weder Bewusstsein noch Handeln (Pred 9,5.10). Deswegen soll der Mensch die schönen Dinge des Lebens, die Gott gegeben hat genießen, weil er es im Tod nicht mehr kann (Pred 9,7-9). Das fröhliche Herz ist nicht die Folge des Weingenusses, sondern, parallel zur Freude beim Brot essen: eine positive Einstellung zum Leben – illustriert durch die grundlegenden Kategorien Essen, Trinken, Kleidung, Körperhygiene, Ehe.
Das hebr. Wort für Wein an dieser Stelle ist jajin. (Es ist vermutlich mit unserem deutschen Wort Wein verwandt; im Arabischen und Äthiopischen heißt das Wort wayn, wo es u.a. die Trauben bezeichnet; Dem liegt wohl eine pontische Wurzel *voino zugrunde, die z.B. im Hethischen zu uiin(a) und im Griechischen zu oinos wurde.) Es bedeutet zum einen alkoholischen Wein (1. Mo 9,21.24; 1. Mo 19,32-35; 3. Mo 10,9), der das Bewusstsein trübt, wird aber auch für den eigentlichen Inhalt der Traube, also Traubensaft, verwendet (1. Mo 49,11.12). Dies gilt auch für das verwandte griechische Wort oinos, das ebenfalls sowohl den vergorenen, alkoholischen Wein meint (Eph 5,18) als auch für den direkten Inhalt der Trauben verwendet wird (Offb 14,10.19). Das ein und dasselbe Wort für verschiedene Arten von Getränk verwendet wird, geht auch daraus hervor, dass es einen Wein (jajin) gibt, den Daniel aus prinzipiellen Glaubensgründen verweigerte (Dan 1,8), während er auf einen anderen Wein (jajin) nur gelegentlich beim Fasten verzichtete (Dan 10,3). Was im jeweiligen Text genau gemeint ist, muss also durch den Kontext der Passage ermittelt werden.
Brot und Wein sind eine oft in der Bibelvorkommende Kombination. Sie werden von Melchisedek, dem Priester Gottes zu Abram gebracht. Sie repräsentieren grundlegende Nahrungsversorgung (Ri 19,19; Neh 5,15); z.T. in Verbindung mit Fleisch (1. Sam 10,3; 1. Sam 16,20). Abigail verwendet beides, um die aufgebrachten Männer um David zu beschwichtigen (1. Sam 25,18), was kontraproduktiv gewesen wäre, wenn es sich um alkoholischen Wein gehandelt hätte. Wein wird auch als simples Getränk für die in der Wüste Durstenden gebraucht (2. Sam 16,2). Eine wichtige Parallele zu Pred 9,7 findet sich in Ps 104,15: Wein, Öl und Brot haben alle einen positiven Einfluss auf den Menschen: Essen, Trinken und Körperhygiene sind gut und möglich durch Gottes Schöpfung. Im Buch Prediger ist die Freude, die der Wein bringt parallel zum Vergnügen, das das Essen bereithält (Pred 10,19) – es geht also um eine grundlegende Freude, nicht um Berauschung, die durch Intoxikation hervorgerufen wird.
Da die Bibel an vielen Stellen vor dem alkoholischen Wein warnt (Spr 23,31; Spr 31,4; Eph 5,18), muss es sich bei der positiven Aufforderung Salomos um eine Ermutigung handeln, sich über die grundlegenden Dinge des Lebens (Essen, Trinken, Kleidung etc.) zu freuen solange man lebt, was den Genuss von unvergorenem Traubensaft miteinschließt.